Rudern und drumrum

„Just Keep Rowing“. Eine Buchkritik.

Mit Büchern der Kategorie Ratgeber und Lebenshilfe habe ich nichts am Hut. Und Gutmenschentum ist mir nicht erst suspekt, seit „Gutmensch“ zum Unwort des Jahres 2015 gekürt worden ist. Das Buch, das Katie Spotz zusammen mit Co-Autor Mark Bowles geschrieben hat, hätte ich also vielleicht nach wenigen Seiten weggelegt, wenn, ja wenn es darin nicht ums Rudern ginge.

Die damals 22-jährige Katie Spotz hat 2010 eine Strecke von 3038 Meilen (4833 Kilometer) zurückgelegt und lässt uns jetzt, 6 Jahre später, daran teilhaben. Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen, sagt man, und das gilt auch für diese Reise. Allerdings sind ihre Erzählungen etwas anders, als ich zunächst erwartet hatte. „Lessons from the Atlantic Ocean by the Youngest Person to Row It Alone“ heißt der Untertitel des Buches, und das Wort Lessons gibt bereits einen deutlichen Hinweis darauf, was einen bei der Lektüre erwartet. Denn Katie beschreibt hier zwar ihren Ruderalltag auf der großen Fahrt, aber die Abenteuer bleiben aus. Keine großen Stürme bringen das Boot (fast) zum Kentern, keiner der vorbeiziehenden Haie beißt ihr die Hand ab oder attackiert sie, wenn sie zum Reinigen des Bootes und zur eigenen Erfrischung ins Wasser steigt. Es gibt keinen Zusammenstoß mit einem Tanker, obwohl die Furcht davor groß ist, und keine bedrohliche Begegnung mit Piraten. Nein, die eigentliche Herausforderung ist die Gleichförmigkeit der meisten Tage und das Alleinsein mit sich selbst. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass dies das Gedankenkarussell in Bewegung bringt und in Fahrt hält. Die psychische Belastung wird zwar oft genug durch die physische getriggert, ist aber offenkundig schwerer zu ertragen. Sie ist aber auch das, was einen weiter bringt – wenn man sie überwindet. 70 Tage hat Katie gebraucht, um ihr Ziel zu erreichen, und 70 kluge Gedanken hat sie in Lektionen verpackt. Nicht alles davon finde ich interessant, manches wiederholt sich und vieles ist mir nicht neu. Was im Übrigen nicht dagegen spricht.

Zitat: „… ask a mountain climber why they court danger and scale higher and higher peaks. The standard simplistic answer is ‘Because it is there’. The reality is that intense physical challenges can help us better discover who we are. They give us confidence that no obstacle is too great for the human spirit to overcome. The price of confidence is the acceptance of some risk and danger. … Risks force you to make things work. When you put your life on the line you’re engaging natural problem-solving abilities. Risks empower you to establish new limits and boundaries, and can lead to higher levels of achievement. And once you make a habit of taking well-measured risks, you begin to live a life greater than you imagined.”

Just Keep Rowing

Puh, na ja, und das von einer 22-jährigen. Die, nebenbei bemerkt, vor der Atlantik-Überquerung schon einen 100 Kilometer-Ultramarathon hingelegt hat, die USA von Ost nach West mit dem Rad durchquert und einen ziemlich langen Fluss von der Quelle bis zur Mündung durchschwommen hat (und mehr dergleichen). Ich gebe zu, es ist mir nicht immer leicht gefallen, ihre Weisheiten anzunehmen. Das aber hat möglicherweise mehr mit mir zu tun als mit dem Buch. Interessantes, aber anderes Thema.

Man fragt sich natürlich, was eine junge Frau zu so etwas antreibt. Reiner Leistungswille scheint es nicht zu sein, und besonders reich wird sie mit dem Buch vermutlich auch nicht. Katie Spotz hat eine Mission. Sie setzt sich für die Verbesserung der Trinkwasserversorgung auf der Welt ein und widmet diesem Thema ein umfangreiches Kapitel mit dem Titel „Russian Roulette“. Dass der Zugriff auf sauberes Süßwasser für viele von uns selbstverständlich ist und nicht hinterfragt wird, damit hat sie sicherlich Recht. Dass das für sehr viele Menschen auf der Welt nicht gilt und in Zukunft gewaltige Probleme bringen wird, wenn sich nichts ändert, stimmt leider auch. Sie schreibt „When your existence is defined by the constant search to find clean water, each day is a struggle for survival”. Sie beschreibt auch, dass viele Frauen und Kinder in Afrika auf ihrem Weg, um Wasser zu holen, zahlreichen Gefahren ausgesetzt sind. “When you add fear to a struggle for water, life can quickly become unbearable from a physical and mental perspective”.

Katies Geschichte ist beeindruckend und enthält viele Zitate, Beispiele und Geschichten anderer Ausnahmemenschen – von Sportlern bis zu Zen-Meistern. Dass sie gerudert ist, ist eigentlich Nebensache, es hätte auch jede andere Sportart sein können. Wenn sie schreibt „I believe anyone could physically manage rowing all day long“ habe ich meine Zweifel. Das ist sehr amerikanisch, und so ist das ganze Buch. Falls es noch nicht aufgefallen ist, das Buch ist auf Englisch erschienen, von einer Übersetzung ins Deutsche gehe ich nicht aus. Ich fand es relativ leicht lesbar und unterhaltsam und die spirituellen Ausflüge darin reizvoll. Die Sache, für die sie sich einsetzt, finde auch ich – übrigens schon lange –absolut wichtig. Wenn ich sehe, wie der Wasserspiegel unseres Ammersees manchmal fast schon bedrohlich sinkt, spüre ich, was dran ist an der Geschichte. Allein schon deswegen wünsche ich ihr viele Leser.

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