Als ich 2013 an den Ammersee gezogen bin, habe ich mir einen großen Wunsch erfüllt. 28 Jahre lang hatte ich auf dem Trockenen gesessen. Zwar hatte ich mich in der Rhein-Main-Region herumgetrieben, von den Flüssen, die dazu gehören, hatte ich mich allerdings wenig bis gar nicht angezogen gefühlt. Man konnte an ihnen entlang laufen oder radeln oder einmal im Jahr das Frankfurter Mainufer-Fest besuchen. Als Gewässer, in die man eintauchen oder auf denen man Sport treiben könnte, habe ich sie nicht wahrgenommen. Ungefähr zweimal bin ich 30 Kilometer bis zu einer Rheinbiegung gefahren, bei der man nach 10 Minuten Fußmarsch über eine staubige Schotterstraße zu einer kleinen Lichtung kam, um dort sein Handtuch auszubreiten und unter Überwindung gewisser Vorbehalte ein paar schnelle Züge in dem großen, kräftigen braunen Strom zu machen. Das Verhältnis von Aufwand zu Genuss hat mich bald wieder davon abgehalten. Anfangs hatte ich mich noch in die Kolonnen Badefreudiger eingereiht, die den ebenfalls nicht unerheblichen Anmarsch zum Langener Waldsee auf sich nahmen, einem ehemaligen Baggersee in flachem, schattenlosem Gelände, dem größten Badesee in der Region. Später war es die Grube Prinz von Hessen nahe Darmstadt, bei der ich mein Badeglück suchte. Menschenleib an Menschenleib, Pommesgeruch, Kindergeschrei, trübe Gewässer, Ausblick gleich Null – auf Dauer nichts für mich. Die Runden auf dem Main bei Wiesbaden für den Sportbootführerschein haben den Funken auch nicht überspringen lassen. Nicht dass diese Gewässer nicht auch ihre Reize hätten, je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtet. Aber meine war die einer Exilbayerin, die ihre Kindheit in der Nähe des Starnberger Sees und der Osterseen und ihre Studienzeit gleich neben den Kiesbänken der Münchner Isar verbracht hatte. Die Jahre im hessischen Exil waren, was meine Sehnsucht nach Wassern in freier Natur anbelangt, magere Jahre.
Und dann kam Bayern. Da lag er also, der schöne See, direkt vor meiner Nase. Frisch, groß, lebendig. Im ersten Jahr fielen die Seeaktivitäten noch recht gemäßigt aus. Einmal drumrumradeln, ab und zu reinspringen und mal mit dem Dampfer rüber. Erst der Besuch eines Freundes aus Bad Godesberg, dessen Rudererbiografie mir gar nicht bewusst war, brachte die Erleuchtung. Ihm hatte ich erzählt, dass ich seit längerem mit dem Gedanken spielte, mir ein Rudergerät anzuschaffen. „Ein Rudergerät, was willst’n damit? Geh’ doch rudern auf dem See.“
Seitdem sehe ich die Welt zu einem großen Teil rückwärts und finde diesen Perspektivwechsel ganz wunderbar.
Alles im Leben hat seine Zeit. Orte, Menschen, Interessen verändern sich. Lebensumstände. Ich hätte auch in Frankfurt rudern können. Es wäre mir nie eingefallen. Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss. Dass man auf ihm auch rudern kann, darauf muss man erst einmal kommen.
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