Rudern und drumrum

Dann stopf es, o Henry … 🎼

Anja Schäfers Seminar „Ruderboote verstehen, reparieren, warten“

Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto … Wer kennt es noch? Von den Seminarteilnehmern, die bei Bootsbaumeisterin Anja Schäfer das Flicken von Löchern und manches andere lernen wollen, vielleicht nur die älteren. Aber unabhängig vom Jahrgang kennen alle die Problematik, Boote fachgerecht instand zu halten. Das Know-how dafür müssen sich die meisten mühsam zusammensuchen.

Ruderboote sind sensible Sportgeräte, die einer intensiven Beanspruchung ausgesetzt sind. Wer im Verein rudert, weiß, wovon ich rede. Mir blutet oft das Herz, wenn ich beobachte, wie grob und unbeholfen mit ihnen umgegangen wird. Aber nicht immer sind die Ruderer schuld; ist halt nicht so einfach, auf dem Wasser. Jedes unserer 50 Boote im Verein trägt Spuren, selbst die nagelneue Möwe und der Eisvogel.

Seit unser Bootswart im Amt ist – mit dem ich übrigens verheiratet bin –, hat sich bei unserem Material vieles gebessert, was daran liegt, dass er handwerklich ausgesprochen geschickt ist und über etwas freie Zeit verfügt. Beides sind Voraussetzungen für diesen Job, reichen aber nicht aus. Besonders Verletzungen an der Bootshaut bringen den Laien an seine Grenzen. Es ist halt keine Lösung, das Loch mit Stroh zu stopfen, wie sich ja schon bei Henrys Eimer gezeigt hat. Und mit GFK haben die wenigsten Erfahrung.

Also auf nach Berlin zu Anja Schäfer, die weiß, wovon sie spricht und sich hier am besten selbst vorstellt. Ende August haben sich 18 Interessierte aus verschiedenen Vereinen versammelt, um sich von ihr den bootsbauerischen Feinschliff verpassen zu lassen. Der Ruderclub Ägir, über den ich an anderer Stelle schon geschrieben habe, war Gastgeber.

Abgesehen von Holz, das bei Ruderbooten heutzutage kaum noch zum Einsatz kommt, handelt es sich bei modernem Bootsmaterial meist um GFK (glasfaserverstärkter Kunststoff), ein Material, das den wenigsten vertraut ist. Für diejenigen, die wirklich wissen wollen, was es damit auf sich hat, empfehle ich zum Beispiel hier ein wenig Lektüre. Aus mehreren Lagen flexibler Werkstoffe (z. B. Glasfasergewebe, Kohlefaser, Aramid-Wabengitter) lässt sich tatsächlich eine Bootshaut herstellen, deren außerordentliche Stabilität durch ein außerordentliches Material gewährleistet wird. Ich spreche von Epoxy, das von uns den Beinamen Wunderwaffe und Teufelzeug bekommen hat.

Ein Blick auf das Arbeitsmaterial, von dem oben die Rede ist. Der Markenname soll keine unangebrachte Werbung sein. Die Produkte von West System sind nicht billig, aber Anja steht auf dem Standpunkt „hochwertiges Material ist günstiger als Arbeitszeit“. Auch wenn die Arbeit eines Bootswarts im Ruderverein wohl in den seltensten Fällen mit Geld honoriert wird. Ich teile den Standpunkt. Ist ja ganz nett, wenn der Mann ab und zu zuhause ist.

Es war interessant mit anzusehen, wie die Teilnehmer mit diesen Komponenten ein Stück Bootshaut hergestellt haben. Wie das passierte, sieht man auf dem Foto, nämlich „auf der Rolle“. Das Beste an dieser Übung waren die Fehler, die man dabei machen konnte. Sagt mein Mann.

Die besondere Herausforderung bestand darin, zunächst das Epoxidharz im richtigen Verhältnis mit dem Härter zu mischen, die drei Lagen damit zu tränken und aufeinander zu laminieren. Das Harz weist zwar – einmal fest – eine unglaubliche Stabilität auf, ist aber in der Verarbeitung tückisch. Ist die Mischung einmal erstellt, heißt es schnell sein. Die Formel könnte lauten: Harz und Härter –> hart und härter. Oder eben auch nicht, und dann heißt es von vorn anfangen. Erfahrung und Geschick sind also erforderlich, aber das trifft auf alles im Bootsbau zu, genau wie im Handwerk allgemein. Jedenfalls war es interessant mit anzusehen, wie alle mit ihren Werkstücken gekämpft haben. (Die Gummihandschuhe übrigens gab es bei Anja in großer Zahl. Sie werden bei dieser Arbeit dringend empfohlen.) Hat die Sache die richtige Festigkeit, wird geschliffen und dann – mit Fingerspitzengefühl – lackiert.

Die Rolle war schon öfter im Einsatz gewesen, wie man sieht. Der vorherige Nutzer hatte sich final für Grün entschieden.

Was ich sehr beeindruckend fand: Dass beim Bau eines Bootsrumpfs mit dem Lackieren angefangen wird. Die wichtigste Aufgabe ist dabei nicht, die richtige Farbe auszusuchen 😉, sondern die richtige Technik anzuwenden. Grob beschrieben funktioniert das wie beim Kuchenbacken. Es gibt eine Form und ein Trennmittel, dann kommt die Farbe rein = Aufbau von außen nach innen. Aber das war eine Information am Rande, es ging ja nicht darum, ein neues Boot zu bauen, sondern Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln, die einem Bootswart im Alltag helfen.

Tipps und Tricks und „Kommt drauf an“

Die Sache mit dem roten Gig-Zweier, bei dem Anja sich an die beschädigte Kielleiste im vorderen Bereich gemacht hat, brachte für alle einen interessanten Lerneffekt. Vorderer Bereich, hatte man gedacht. Aber zur Überraschung aller zeigte sich, je weiter „gebohrt“ wurde, desto größer der Schaden – ein bisschen wie beim Zahnarzt, wenn aus einer Füllung doch eine Wurzelbehandlung wird. So weit hat Anja es nicht kommen lassen. Nachdem klar war, dass die ganze Leiste von vorn bis hinten Matsche war, wurde die Ausgangsstelle fachgerecht verarztet und verschlossen. Das Abwägen von Aufwand zu Ergebnis gehört auch zur Praxis eines Bootswarts, das wurde hier gut sichtbar. Dieses Boot war alt, und die Empfehlung war, bei später auftretenden neuen Schäden am Kiel gezielt punktuell zu reparieren. Hier, wie bei vielen anderen Fragen in diesem Zusammenhang, beginnt die Antwort in der Regel mit „Kommt drauf an“. Die meisten der Kursteilnehmer hätten vermutlich anders gehandelt und sich an eine Totalsanierung gemacht.

Ein Stück Holz füllt das klaffende Loch, bevor gespachtelt wird. Das ist leichter und billiger, als es mit Epoxy auszugießen. Das geknautschte Klebeband ist übrigens keine schlampige Arbeit, sondern bewusste Technik. Es fängt wie eine Regenrinne herunterlaufenden Kleber auf.

Ich habe nicht an dem Seminar teilgenommen, sondern war Beobachterin am Rande. Was mir dabei besonders aufgefallen ist, waren die vielen kleinen Hinweise von Anja, wie man Probleme und Problemchen unkompliziert und dennoch fachmännisch lösen kann. Besonders gefallen hat mir ihre Lösung für das runde Loch im Boot, die ich leider mit keinem Foto illustrieren kann. Auf dem folgenden Bild sieht man den „Patienten“ schon fast fertig verarztet. Dass Anja in ein Stück Pappe ein kreisrundes Loch geschnitten hatte, durch das sie die weiße Grundierung gesprüht hat und später den gelben Lack, sieht man leider nicht. Es hilft bestimmt, um das zu erreichen, was laut Anja der Idealfall ist: eine Reparatur, bei der die ehemals defekte Stelle nicht mehr zu erkennen ist. Ein hoher Anspruch.

Natürlich wurde nicht nur an der Bootshaut gearbeitet. Es gab Tipps zu Einstellung der Ausleger, Anlagewinkel, Dollenhöhe, -abstand, -versatz, Skulllänge, Innenhebellänge, Reinigung der Rollschienen etc. Auch der Austausch der Teilnehmer untereinander hat sicher allen etwas gebracht. Die zwei Tage waren für jeden Verein eine gute Investition. Eine meiner Erfahrungen, seit ich rudere, ist, dass der Rudersport ein Nischendasein führt, auch wenn er regen Zulauf hat. Frage ich in einem Sportgeschäft zum Beispiel nach Ruderkleidung, laufe ich meist ins Leere. In der Ruderwelt sind Improvisationstalent und Pragmatismus gefragt und der Blick über den Tellerrand; wie machen es andere Sparten, was funktioniert für uns? Das gilt übrigens auch, wenn es um Werkzeug und Material bei der Bootsreparatur geht.

Ein paar Wochen nach dem Seminar stoße ich in der Pinakothek der Moderne in München auf diesen Holzschnitt des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai aus dem Jahr 1849 mit dem Titel „Reparatur eines Bootes“. Was soll ich sagen, das Thema hat schon so lange für die Menschen Bedeutung, es ist ein Stück Kultur. Die Techniken ändern sich mit dem Material, und manche bleiben auch gleich. Entscheidend ist: Gewusst, wie. Ein paar Leute in deutschen Rudervereinen sind auf diesem Weg gerade ein Stück vorangekommen.

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