Rudern und drumrum

Arm sein

Ich habe heute zweimal Geld weggegeben, ohne einen (materiellen) Gegenwert zu bekommen, und einmal etwas bekommen, ohne dafür zu bezahlen. Das Geld, das ich gegeben habe, ging an einen Mann, an dem ich auf dem Weg zum Strand jeden Tag vorbeilaufe. Er sitzt, in eine Decke gehüllt, an eine Mauer gelehnt im Baumschatten, und ich kann ihn einfach nicht übersehen, hatte bisher aber nie Geld dabei. Heute habe ich etwas mitgenommen. Gebettelt hat er nicht. Das andere Geld hat mir eine Frau abgeschwatzt, die mich offenbar beobachtet hat, während ich etwas beobachtet habe (siehe unten). Sie wollte mir Aufkleber verkaufen, der Erlös sollte für einen guten Zweck bestimmt sein. Ich wollte den Plastikkram nicht und habe mich unwillig aus der Situation mit einer „Spende“ rausgekauft. Beides hat mich nicht arm gemacht. In beiden Situationen habe ich mich unwohl gefühlt. In der ersten, weil ich nicht weiß, wohin mit meinem Mitgefühl, weil ich weiß, dass es viel zu wenig ist und ich nicht wirklich helfen kann, und weil ich keine Übung in dieser Art von Geben habe. In der zweiten, weil ich gerne selbst darüber entscheide, wem ich gebe und wem nicht, aber im selben Moment wusste, dass auch sie aus Not heraus handelt und Respekt verdient, obwohl ich mich nicht respektvoll behandelt gefühlt habe.

Es ist kompliziert.

Die Situation, die ich beobachtet habe, ist folgende. Rund um die Kaimauer im Zentrum der Stadt lagern die fliegenden Händler mit ihrem Angebot an selbstgebastelten Figuren und Figürchen, bis auf die Arbeiten aus bunten Plastikkügelchen alles recyceltes Material, altes, meist angerostetes Blech. Wovon sie leben, ist mir ein Rätsel. Es gibt ein gigantisches Überangebot, fast nie sehe ich jemand etwas kaufen, und wenn, dann kosten die Sachen so wenig, selbst wenn man nicht handelt. Ich sitze auf einer Mauer neben dem Händler, der oben zu sehen ist, und schaue aufs Meer. Kommt ein Dicker (ich hätte auch schreiben können sehr dick, oder schwarz, oder Mann) vorbeigeschlurft, Smartphone am Ohr, und deutet auf irgend welche Teile aus dem unübersehbaren Angebot des Händlers. Ein bisschen träge entwickelt sich ein Kaufvorgang, bei dem der Dicke immer wieder zerknüllte Scheine aus seiner Hosentasche hervorkramt, und mein Händler zu in der Nähe sitzenden Verwandten (?) eilt, um Wechselgeld in die Hand zu bekommen. Der Dicke telefoniert, mit der freien Hand winkt er Teile aus dem Sortiment her und wieder weg. Was er behalten will, bekommen zwei Begleiter in die Hand gedrückt, die so unbeteiligt dreinschauen, als wären sie aus Wachs. Irgendwann zieht die Truppe ab, setzt sich in einen geparkten SUV und weg.

Diese Szene erschien mir so skurril, dass ich den Händler gefragt habe, ob er ein gutes Geschäft gemacht hat. Ja, habe er. Der Mann käme öfter vorbei und würde bei ihm kaufen. In meinem Kopf: Was will er mit dem Zeug, das er sich gar nicht richtig angeschaut hat? Warum kauft ein farbiger Einheimischer hier ein? Die Sachen sind doch eigentlich für die Touristen gemacht? Ich stoße auf Klischees und Stereotype, stelle fest, dass ich keine Ahnung habe, die Strukturen hier nicht kenne, mich nicht wundern muss, wenn ich beklaut werde (was mir schon passiert ist) usw. Und auch hier, wie so oft, stelle ich fest, dass den meisten Besuchern eines Landes so etwas nicht begegnen würde. Weil es ungeheuer einfach ist, den Dingen aus dem Weg zu gehen. Die Welt ist so schön bunt. Und wer setzt sich heute noch auf eine Bank oder Mauer und schaut einfach so vor sich hin? Noch dazu allein, an einem unbelebten Vormittag?

Jedenfalls bekam ich die Erlaubnis, ein Foto vom „Laden“ des Händlers machen. Mein Angebot, ihm etwas dafür zu geben, lehnte er ab.

Wir können uns einfach nicht vorstellen, was das ist, arm sein. Wo das beginnt und endet, und wie es sich anfühlt, keine Kraft und keine Hoffnung zu haben. Es ist grotesk, dass ich manchmal Angst habe zu verarmen.

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