Roseninsel-Achter 2015 (oder: Alles halb so wild)

Roseninsel Banner

Sie ist die größte, und vermutlich eine der schönsten. Mit 76 teilnehmenden Mannschaften in 2015 ist die Roseninsel-Regatta, die jährlich vom Münchner Ruder- und Segelverein (MRSV) veranstaltet wird, die größte Achterregatta in Deutschland. Es lässt sich leicht ausrechnen, dass am 26. September 2015 ziemlich genau 684 Ruderer auf dem Starnberger Vereinsgelände ins Boot gestiegen sind, hinzu kamen Ersatzleute, von zuhause mitgebrachte Fans und sonstige Zuschauer. Ein gehöriger Auftrieb also, und mit Musikbegleitung, Verpflegungsständen, Siegerehrungen sowie an- und ablegenden Booten herrschte reichlich Bewegung vor Ort.

Ich war schon im Jahr davor dabei. Als Novizin saß ich zwischen meinen neuen Ruderfreunden im strahlenden Sonnenschein auf der Kaimauer und fieberte unserem Team entgegen. Der Achter ist das Schmuckstück des Vereins. Die 17,5 Meter Länge, das Gleichmaß (idealerweise) der acht Ruderer, die Kraft und Geschwindigkeit, die sich übertragende Energie des Steuermanns, all das ist mitreißend und Respekt einflößend. Unsere “Obacht” ist ein sportlich ausgelegtes Boot, schmal und eher unruhig (eine Renngig), was bei mangelnder Technik und Erfahrung zur Herausforderung werden kann. Mitfahren zu dürfen, das ist schon etwas, der Achter ist die Königsklasse und erfordert einiges Können, wenn man die Harmonie des Ablaufs nicht stören will. Und wer will das schon?

Roseninsel Obacht

2014 waren unsere Ruderer stark und die Bedingungen hart. Am Nachmittag hatte der Wind aufgefrischt und einige Boote in Schieflage oder gar zum Kentern gebracht. Auch die Obacht blieb nicht verschont; wie und warum Annettes Backbordskull bei der Wende an der Roseninsel gebrochen ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, aber dass die rohen Kräfte von außen kamen, so viel steht fest. Dass am Ende alle heil wieder an Land waren, mit einer Zeit von 54:10 Minuten, konnte als Erfolg gefeiert werden.

Und dann das. 2015 stehe ich auf der Teilnehmerliste. Seit ein paar Wochen nehme ich am Regattatraining teil, ganz unverbindlich, ich will meine Technik verbessern. Als Trainer Heinz eines Abends vor dem Training in die Runde fragt, wer beim Roseninsel-Achter mitfahren will, schnellt mein Finger in die Höhe. Ganz von allein. Ich kann gerade noch hinzufügen „Als Ersatzfrau“, um den Schrecken, dass sich außer mir keiner gemeldet hat, abzumildern. Ab jetzt stehen mir ein paar heftige Wochen bevor. 12 Kilometer am Stück mit vollem Krafteinsatz zu rudern, egal bei welchen Bedingungen, traue ich mir das zu? Mit gerade mal eineinhalb Jahren Rudererfahrung? Soll ich nicht doch besser einem der „alten Hasen“ den Vortritt lassen, die so nach und nach erkennen lassen, dass auch sie bereit wären? Nein, beschließe ich irgendwann, Schluss mit den Skrupeln, mitgehangen mitgefangen und Dabeisein ist alles. So also soll es sein.

Trainerin Annette korrigiert ein letztes Mal die Haltung
Trainerin Annette korrigiert ein letztes Mal die Haltung

Am 26. September 2015 geht es mir gut, ich fühle mich fit. Die Boote starten in Etappen, über den Tag verteilt. Wir gehören – wie im vorigen Jahr – zur letzten Gruppe, und obwohl die Wartezeit lang ist, hält sich die Aufregung in Grenzen. Dass allerdings der Wind auch diesmal wieder zunimmt, beobachten wir mit leichter Besorgnis. Eine Stunde vor dem Start werden wir aufgefordert, aufs Wasser zu gehen. Ich bin mir nicht sicher, was ich von dieser Regelung halten soll, deren Hintergrund ich verstehe (Koordination der startenden und einlaufenden Boote).

Angespannte Gesichter vor dem Start
Angespannte Gesichter vor dem Start

Einerseits ganz okay, man kann endlich etwas tun, kann sich einstimmen, einrudern. Andererseits sind wir dem Wind ausgesetzt und ziehen unmotivierte Kreise. Aber im Großen und Ganzen sind wir gut drauf. Wir beäugen unsere Konkurrenz und versuchen, sie einzuschätzen. Die meisten sind jünger als wir. Nun gut. Schließlich kommt die erste Zeitansage, noch fünf Minuten bis zum Start. Wir begeben uns langsam in Position, ab jetzt gilt es zu verhindern, dass wir zu früh über die Startlinie fahren, und Kollisionen mit den anderen sind auch nicht erwünscht. Noch drei Minuten. Noch 30 Sekunden. Wir sitzen in angespannter Stille. Ein Knall. Die Blätter klatschen ins Wasser, mit einem kräftigen Schub setzt sich das Boot in Bewegung. Und ich, ich sitze immer noch da, als wäre nichts gewesen, und tue: nichts. Einen Sekundenbruchteil brauche ich, um zu begreifen, dass wir rudern, dass ich das jetzt auch muss, und mit äußerster Konzentration versuche ich den Steuerbordskull zu greifen, der mir sofort aus der Hand gefallen war. Das Boot bockt wie ein Stier beim Rodeo, Skull knallt gegen Skull, wir hängen an der Startlinie fest, Köpfe drehen sich zu mir um, Boote ziehen an uns vorbei. Beim dritten Versuch bekomme ich den Griff zu fassen, klinke mich in den Rhythmus der anderen ein, und in meinem Kopf hämmert die Anweisung von Annette: Weiterrudern, weiterrudern, kein Wort verlieren, einfach weiterrudern.

Entspannte Gesichter danach
Entspannte Gesichter danach

Das habe ich dann auch gemacht, mit allem, was ich hatte. Am Ende sind wir eine ordentliche Zeit gefahren. Und nichts ist passiert. Keiner hat etwas gesagt. Wir haben unsere Obacht und uns selbst wieder heil an Land gebracht, haben das Boot auseinandergeschraubt, zu hause wieder zusammengesetzt und den Tag müde, aber glücklich gemeinsam ausklingen lassen.

Wie viele von den 55 Minuten und 37 Sekunden, die wir gebraucht haben, sind allein auf mein Konto gegangen? 5? 10? Für mich eine gefühlte Ewigkeit. In der Wahrnehmung der anderen eine Randerscheinung, ein Bruchteil vom Ganzen, am Ende schon fast wieder vergessen. Ich würde sofort wieder antreten.

Fotos: Bernardo Quintana