Fischers Fritz in Dießen – Gedanken zum Abschied

Jeder, der schon einmal umgezogen ist, kennt das Phänomen. Wenn die Zeiten am Ort nicht allzu hart gewesen sind und der Ort nicht allzu hässlich, dann kommt kurz vor dem Umzug (oder kurz danach) der Abschiedsschmerz. Und das Gefühl, die alte Heimat nicht richtig wertgeschätzt zu haben. Also bei mir ist das jetzt so. Voll auf das Rudern konzentriert, habe ich meinen Wohnort kaum wahrgenommen. Was für ein Versäumnis!

Dießen ist lauschig. Überschaubar groß (knapp >10.000 Einwohner), da wo die alte Substanz noch erhalten ist, ländlich hübsch, künstlerisch und kunsthandwerklich angehaucht, oftmals verspielt. Es beherbergt einen der wichtigsten europäischen Töpfermärkte (alljährlich an Christi Himmelfahrt) und zahlreiche kleinere Kunst- und Kulturveranstaltungen. Dießen liegt direkt am See und wird von den Ausflugsschiffen angefahren, ist Anlaufpunkt für Touristen, Heimat vieler Wasservögel, und die alten Schiffhütten der Fischer haben besonderen Charme. Alles fein und im Internet nachzulesen.

Das Marienmünster dominiert die Kulisse. Die Segelschule schickt die Schüler auch bei wenig Wind aufs Wasser. Die Segelbedingungen auf dem Ammersee sind allerdings oft gut.

Fisch gibt es auf fast jeder Speisekarte, Fisch wird in Dießen groß geschrieben (Ammerseerenke, Saibling, Forelle). Im alten Ortszentrum haben einige Fischer ihr Zuhause und verkaufen ihren frischen Fang zum Teil direkt an der Straße oder im kleinen Ladengeschäft. In der Regel schmeckt er köstlich. Gut essen ist im Übrigen leicht möglich, die Stadt bietet ein breites Spektrum an Lokalen, von gutbürgerlich (z.B. im Unterbräu) über moderne Bistroküche (z. B. EssensArt) und internationale Klassiker (z. B. Tapas, italienisch oder Thai) bis hin zu traditionell und länderübergreifend im Wirtshaus am Kirchsteig, oder jung, kreativ und ökologisch an meinem Lieblingsplatz, dem Maurerhansl.

Links zwei Motive aus dem Traidtcasten (s. u.), eine Skulptur und die Knöpfe der Eingangstür, die rechte blankpoliert durch Benutzung. Rechts Motive aus Seenähe. Die Schnecke habe ich beim Überqueren des Holzstegs, der zum Aussichtsturm im Naturschutzgebiet Ammersee Süd führt, fotografiert.

Alle Welt besucht das Dießener Marienmünster, und das hat seine Berechtigung. Ich tue das auch. In jüngster Zeit habe ich dort im ehemaligen Klosterhof Äpfel aufgeklaubt (der heiße Sommer 2018 hat uns Obst im Überfluss beschert, und ich liebe es, aus Selbstgeerntetem Leckeres herzustellen) und bin dann bergab durch das Tor gelaufen, vorbei an einer wunderbaren Streuobstwiese, die manchmal von Schafen beweidet wird. Neben dem Marienmünster, etwas unauffällig links davon (wenn man davor steht und auf den Eingang schaut), befindet sich der Eingang zum Traidtcasten. Hier, in einem ehemaligen Kornspeicher mit unverputzten Ziegelmauern und Tonnengewölbe, fühle ich mich wohl. Die wenigen gotischen Sakralfiguren faszinieren mich durch ihre Schönheit und ihren Ausdruck, der Raum durch seine Schlichtheit. Ein harter Kontrast zur barocken Fülle des Münsters.

Dießen hält seine Traditionen hoch und sich von der Moderne eher fern, was bei vielen Besuchern gut ankommt. Das Aufstellen des Maibaums 2017 wurde groß gefeiert, ebenso wie der Mann mit Fisch (Titelfoto), der seit 2016 den Untermüllerplatz schmückt. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte die “Figur mit Potenzial zum Wahrzeichen” künstlerisch durchaus etwas mutiger sein dürfen. Aber wir sind auf dem Land, im tiefsten Oberbayern. Ein sauberes Mannsbild ist es geworden, originalgetreu, ja mei.

Mit Pferdestärke zum Bestimmungsort gebracht, wurde der Baum später mit Manneskraft aufgestellt. Ein beeindruckendes Spektakel.

Wenn es nicht gerade grau in grau ist, sondern die Sonne sich sehen lässt, verzaubert der Ort in der kühlen Jahreszeit. Dann ist es still und beschaulich, die Touristen sind fort, und die wenigen Menschen und Tiere haben den See für sich. Dann kann das Auge weit blicken, und innere Ruhe kehrt ein. Nicht das schlechteste Modell, um sich anzusiedeln. Trotzdem zieht es mich jetzt vorübergehend in belebtere Gefilde, nach Bamberg, wo man selbstverständlich auch rudern kann. Aber ich breche meine Zelte nicht ganz ab: Ich kehre zurück. Irgendwann. Bestimmt.

2 Gedanken zu „Fischers Fritz in Dießen – Gedanken zum Abschied

  1. Eine eindrucksvolle Liebeserklärung an Dießen, der ich mich vollinhaltlich anschließe! Hoffentlich gibst du dem Abschiedsschmerz nicht zu viel Raum, sondern freust dich auf ein Wiedersehen.

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